Geschichte des Saat- und Sortenwesens

 

Saatzucht vor dem 19. Jahrhundert

 

Bis ins 19. Jahrhundert hinein betrieben Landwirte und Gärtner die Saatgut-gewinnung und damit auch die Pflanzenzüchtung weitestgehend selbst. Saatguthandel fand nur in sehr begrenztem Umfang statt, in der Regel wurde das Saatgut getauscht und das Wissen um die einzelnen Sorten mündlich weiter-gegeben. Im Zuge der Industrialisierung und dem Prinzip der Arbeitsteilung entwickelten sich Pflanzenzucht und Saatgutgewinnung zu Spezialgebieten der Landwirtschaft. Das produzierte Saatgut musste jedoch wieder zu den Landwirten und Gärtnern gelangen, so dass sich zeitgleich auch der Vertrieb und Handel mit Saatgut zu einem lukrativen Geschäftsfeld bildete.

 

Entwicklung im 19. Jahrhundert

 

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Saatgut immer mehr zur Handelsware und die Saatgutbetriebe wurden zahlreicher und größer. Allerdings gab es auch zunehmend Probleme, weil das Saatgut von sehr unterschiedlicher Qualität war. Bei Missernten forderten viele Landwirte Schadensersatz bei den Saatguthändlern. Die Pflanzenzüchter hingegen fühlten sich betrogen, weil ihre kosten- und zeitaufwendige Arbeit nicht ausreichend vergütet wurde und ihre Neuzüchtungen von jedermann beliebig vermehrt oder verkauft werden konnten. Gegen Ende des Jahrhunderts wurden die Stimmen lauter, welche eine gesetzliche Regelung des Handels mit Saatgut und einer staatlichen Überwachung der Saatgutqualität forderten.

 

Kaiserzeit und Weimarer Republik

 

Die moderne Pflanzenzüchtung geht auf den Genetiker Erwin Baur zurück, der Anfang des 20. Jahrhunderts begann, Erkenntnisse aus der Vererbungslehre systematisch für landwirtschaftliche Zwecke zu nutzen. Bereits 1917 beantragte Baur bei der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (später: Max-Planck-Gesellschaft) die Einrichtung eines Instituts für Pflanzenzüchtung, welches 1928 unter dem Namen "Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung" gegründet wurde. 1929 wurde an diesem Institut der Entwurf eines Saatgutgesetzes erarbeitet, der die Grundlage für die weitere Entwicklung des Sorten- und Saatgutwesens in Deutschland bildete.

 

Zeit des Nationalsozialismus

 

Schon zu Beginn des 3. Reichs wurde der Pflanzenzüchtung und der staatlichen Regulierung des Sortenwesens ein großer Stellenwert beigemessen, weil man sich davon eine Ertragssteigerung in der Landwirtschaft erhoffte. Die Maßnahmen waren Teil der Kriegsvorbereitung und sollten Deutschland unabhängig von Lebensmittel-importen machen. Bereits 1934 trat die erste deutsche Saatgutverordnung in Kraft und es wurden ertragreiche und robuste Nutzpflanzensorten in einer Reichs-sortenliste zusammengestellt. Alle nicht aufgeführten Sorten durften von den Landwirten fortan nicht mehr angebaut werden. Diese „Sortenbereinigung“ sollte dem sogenannten „Sortenwirrwarr“ vergangener Zeiten ein Ende setzen, führte jedoch auch zu einem Verschwinden zahlreicher Landsorten mit zumeist regionaler Bedeutung.

 

Von Ost nach West

 

Die Zentralstelle des Reichssortenamts befand sich in den 1930er Jahren in Berlin-Dahlem, wurde jedoch während des Kriegs nach Nossen bei Dresden verlegt. Das Gebiet um Nossen war ein wichtiger Ort für das deutsche Saatgutwesen, im nahe gelegenen Tharandt wurde bereits 1869 die erste Saatgutprüfstelle der Welt gegründet. Nach Kriegsende gingen führende Personen der Zentralstelle Nossen nach Westdeutschland und führten umfangreiches Wissen und Aktenmaterial mit sich. Es wird vermutet, dass sogar Baupläne der Zentralstelle aus Nossen mit in den Westen gebracht wurden, welche beim späteren Bau des Hauptgebäudes in Rethmar als Planungsgrundlage gedient haben könnten.

 

Bundessortenamt Rethmar 1945 - 2015

 

Mit der Gründung des Sortenamts (ab 1953: Bundessortenamt) im Jahr 1945 wurde Rethmar zum zentralen Ort des Sorten- und Saatgutwesens der Bundesrepublik. In den ersten drei Jahrzehnten der Nachkriegszeit wurde in Rethmar wertvolle Pionierarbeit geleistet, welche die Grundlagen schuf für das deutsche Saatgutrecht und damit auch wesentlich zu einem europäischen Sortenwesen beitrug.1970 wurde die Zentrale des Bundessortenamts nach Bemerode und 1980 schließlich nach Hannover-Buchholz verlegt. Die Prüfstelle Rethmar wurde seitdem als eine von zwölf bundesweiten Außenstellen betrieben. Aufgrund von Einsparungsmaßnahmen des Bundes musste der Standort Rethmar im Dezember 2015 geschlossen werden.