Tomate "Tigerella"

 

Ahnenforschung bei historischen Nutzpflanzen offenbart in der Regel auch einiges über die Kulturgeschichte ihrer Herkunftsgebiete, wie das folgende Beispiel zeigt. Die Tomatensorte "Tigerella" besitzt ein sehr charakteristisches Streifenmuster, das an das Aussehen von Tigerfellen erinnert. Sie geht auf Züchtungen aus den 1960er Jahren zurück, die im englischen Pflanzeninstitut „Glasshouse Crops Research“ in Littlehampton unter der Leitung von Dr. Lewis Darby durchgeführt wurden. Saatgut von der „Tigerella“ wurde später an eine dänische Erhaltungsinitiative weitergegeben, die es vermehrte und verbreitete, worauf die Sorte bei vielen Tomatenliebhabern weltweit sehr beliebt wurde.

 

Schwesternsorte "Craigella"
Schwesternsorte "Craigella"
Schwesternsorte "Tangella"
Schwesternsorte "Tangella"

 

Ebenso wie ihren Schwesternsorten „Craigella“ und „Tangella“ lag der Entwicklung der „Tigerella“ die in Großbrittanien sehr verbreitete Sorte „Ailsa Craig“ zugrunde, die Anfang des 20. Jahrhunderts im schottischen Ayrshire von Alan Balch speziell für den Anbau in Gewächshäusern gezüchtet wurde.

 

In dieser Zeit begann in Schottland besonders im Clyde Valley bei Glasgow der Anbau von Tomaten sehr beliebt zu werden und sich zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig dieser Region zu entwickeln. Riesige Gewächshäuser in damals noch üblicher Holzrahmenbauweise prägten bald das ganze Clyde Valley und machten es zu einem der bekanntesten Tomatenanbaugebiete. Ganz Schottland, aber auch weite Teile Englands und anderer europäischer Länder wurden von hier mit Tomaten beliefert.

 

Die Ursprungssorte "Ailsa Craig" kam Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Markt. Sie wurde nach der gleichnamigen Insel im Meeresarm "Firth of Clyde" benannt.
Die Ursprungssorte "Ailsa Craig" kam Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Markt. Sie wurde nach der gleichnamigen Insel im Meeresarm "Firth of Clyde" benannt.
Die Insel Ailsa Craig bei Glasgow
Die Insel Ailsa Craig bei Glasgow

 

Bis in die 1960er Jahre hinein dauerte die Erfolgsgeschichte schottischer Tomaten, die von sehr hoher Qualität waren. Doch mit den neuen Handelsgesetzen der europäischen Gemeinschaft entfielen auch die Einfuhrzölle, so dass die Tomatenzüchter fortan mit den Importen aus den südeuropäischen Ländern konkurrieren mussten. Zwar waren Tomaten aus Spanien und Italien von geringerer Qualität, doch in den damals auch in Schottland immer populärer werdenden Supermärkten zählte bald nur noch der Preis.

 

Da die Gewächshäuser in Schottland mit verhältnismäßig teuren Warmwasserheizungen ausgestattet waren und die Holzrahmenkonstruktionen schnell marode wurden, waren die Betriebs- und Instandhaltungskosten sehr hoch. Schon in den 1970er Jahren mussten deshalb viele Gärtnereien ihren Betrieb einstellen und der Anbau der beliebten schottischen Tomaten gehörte bald der Vergangenheit an.

 

Verlassene Gewächshäuser erinnern noch an die blühenden Zeiten des schottischen Tomatenanbaus
Verlassene Gewächshäuser erinnern noch an die blühenden Zeiten des schottischen Tomatenanbaus